Leben in der Monokultur

In den letzten fünf Jahren glichen die unzählig besuchten Ankerbuchten einem bunten Multikulti-Gemisch. Da flatterten Flaggen aus zig verschiedenen Ländern an den Booten und wir lernten eine Vielzahl an Menschen, Sprachen und Kulturen kennen. Jetzt aber liegen wir inmitten der beinahe totalen Monokultur. An bestimmt 97% der Boote weht die US-Flagge. Das ist eine ganz neue Erfahrung für uns. Am augenscheinlichsten ist, dass Amerikaner nichts dem Zufall überlassen. Über der Ankerbucht weht die „wir stehen zusammen und packen es an“-Mentalität. Und es wird vor allem nicht lange gefackelt. Zuerst stampfen sie ein Funknetz aus dem Boden. Fehlte ja noch, dass man sich als Einzelner mit Problemen oder Fragen herumschlagen müsste. Und so knarzt es jetzt von Montag bis Samstag immer um 8 Uhr für mindestens eine halbe Stunde auf Kanal 72. Professionell aufgezogen und zackig durchgezogen. Wir spüren, da steckt viel Erfahrung dahinter.

Als erstes wird umgehend das Müllproblem gelöst. Ein Inselbewohner und ehemaliger Segler entsorgt ab sofort jeden zweiten Tag die Woche fach- und sachgerecht unseren Abfall. Gegen eine Donation, wie Laury in der morgendlichen Funkrunde orientiert. Donation, oder auf Deutsch Spende, scheint auch so ein typisch amerikanischer Begriff zu sein, denn er fällt noch ein paar Mal bei anderer Gelegenheit. Fahrten zu den Lebensmittelgeschäften oder Lieferungen von den Supermärkten zu den Booten werden organisiert. Wir profitieren noch nicht davon, denn unsere Freunde von der Invia haben uns dankenswerterweise Lebensmittel vom Supermarkt mitgebracht. Gelebte Nachbarschaftshilfe. Einer hat zuviel Bier, mindestens vier haben zu wenig. Passt. Wäscheservice, Eislieferung, SIM-Karte fürs Handy, Büchertausch oder überzählige Klappfahrräder, Allen wird geholfen. Uns geht so langsam das Gas aus und eine Füllstation für unsere europäischen Modelle zu finden, erweist sich als Knacknuss. Doch da ist Clarke und seine Hilfsbereitschaft.

Hilfsbereitschaft in der Monokultur

In den Anfängen der Funkrunde wurde noch Gruppen-Wandern oder Aquagymnastik am Strand angeboten. Diese Vorhaben erstickte die Community aber umgehend im Keim. Gruppenaktivitäten entsprechen nicht den Vorschriften des Gouverneurs. Darauf wird Wert gelegt. Denn es möchte wohl keiner von uns die restlichen noch zur Verfügung stehenden Privilegien verlieren. Natürlich können nicht alle Segler der über 50 Boote unter einen Hut gebracht werden.

Zwar selten aber doch ab und zu gibt es Verstösse, über die man umgehend im Netz diskutiert. Eine Floating-Bar ist in der jetzigen Zeit definitiv nicht schlau. Aber Verzicht oder Zurückhaltung scheint halt einfach nicht jedermanns Sache zu sein. Und, es menschelt hier wie überall auf der Welt. Doch die überwiegende Mehrzahl hält sich an die Regeln der USVI Behörden. Als Gemeinschaft geben wir hoffentlich ein gutes Bild gegen aussen ab. Wir sind jedenfalls sehr dankbar für die täglichen Informationen aus erster Hand. Fundierte Berichte und kein Kaffeesatzlesen.

US Virgin Islands

Grosse Änderungen von Bord der Vairea gibt’s nicht zu melden, weder in die eine noch in die andere Richtung. Wir sind gesund und fühlen uns absolut prächtig. Mindestens jeden zweiten Tag schnüren wir unsere Laufschuhe und machen uns auf in den Nationalpark. Fehlendes Social Distancing wird auf unseren Wanderungen nie ein Problem. Denn am Vorurteil dass Amerikaner nicht die grossen Läufer sind steckt wohl mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Die Aussicht von den verschiedenen Hügeln ist dramatisch schön und lässt uns ein ums andere Mal etwas die ungemütliche Welt-Situation vergessen. Wir lassen uns definitiv nicht die Freude und Begeisterung für diesen einmaligen und herrlichen Fleck Natur nehmen.

Volle Buchten

Leben in der MonokulturUnd dann haben wir noch ein Luxusproblem. Eigentlich wollten wir ja noch umher segeln und bei den vielen weiteren Buchten vorbeischauen. Auf allen drei Inseln. Doch überall das gleiche Bild! Einen Platz und dazu noch einen gut geschützten zu finden wird immer schwieriger. Denn der Strom an Neuankömmlingen reisst nicht ab. In der Funkrunde stellen sich bedeutend mehr neue Segler vor, als dass sich welche verabschieden. Noch ist die Gebühr für die Bojen innerhalb des Nationalparks ausgesetzt. Anstatt täglich 26 Dollar zu bezahlen, liegen wir kostenfrei. Das soll sich aber ändern, spätestens nächste Woche fallen wieder Kosten an, heisst es.

Uns gefällt der Platz in dieser so gut geschützten Bucht aber zu gut. So werden wir vorderhand einfach bleiben und abwarten. Darin sind wir inzwischen so richtig geübt und gut. Ab und zu packt uns der Arbeitseifer. Dann geben wir dem Drang halt nach. Wir tauen den Kühlschrank ab und flicken unser erbärmlich aussehendes Stoffverdeck über dem Steuerstand. Wir schrubben unsere Vairea blitzblank und kratzen die Algen und Muscheln an den Rümpfen ab. Aber alles wohldosiert, uns darf die Arbeit ja nicht ausgehen. Denn es verbleiben bestimmt noch einige Tage und Wochen, die wir hier in unserer Monokultur verbringen werden.

Und noch während dem Schreiben dieses Beitrages erfahren wir, dass Gouverneur Albert Brian Jr. per sofort und für zwei Wochen alle Strände schliesst. Was das bedeutet und wie weiter, erfahren wir bestimmt morgen in der Monokultur-Funkrunde.

US Virgin Islands - April 2020

Unsere Reise im Überblick & Unsere Schatzkiste

6 Kommentare zu „Leben in der Monokultur“

  1. Ich finde Euren Blog ganz toll und würde gerne einmal einen direkten Kontakt mit Euch haben.

    Beste Grüsse aus CH-Küsnacht

  2. Liebe Vairea Crew. Wir lesen euren Blog so gerne. Ihr schreibt toll, unterhaltsam und lustig. Ein Genuss. Herzliche Grüße von der Lille Venn. Wir haben auch Monokultur. Wir stehen ganz alleine in der Bucht im südlichen Martinique.

    1. Liebe Barbara und Ralph, ganz herzlichen Dank für dieses tolle Kompliment. Eine grosse Freude zu hören, dass ihr die Beiträge gerne liest. Ihr habt Euch eine der schönsten Regionen von Martinique für eure Monokultur ausgesucht. Dort wo ihr liegt, verbrachten wir herrliche Zeiten. Herzliche Grüsse von Bord der SY Vairea aus St. John

  3. Hallo ihr Beiden,
    eine tolle Schilderung der aktuellen Situation und der Herausforderungen, denen wir uns momentan stellen müssen. Ihr wart offenbar zur richtigen Zeit am der richtigen Stelle und könnt nun euren Liegeplatz geniessen. Auch wir haben einen kleinen Glückstreffer gelandet, liegen richtig gut, wo wir sind.
    Und tja, mit der Beschäftigung – da halten wir es ähnlich wie ihr: jeden Tag eine kleine Aufgabe. Ja nicht mehr! 🙂 Gerade gestern habe ich mich zwar aufgeregt, da bin ich nicht fertig geworden, mit dem was ich angefangen habe. Muss heute weiter machen damit: Nichtstun 🙂
    Seglergrüsse von der Lupina, Köbi

    1. Ja ihr Beiden, es ist absolut nicht selbstverständlich in dieser verrückten Zeit einen guten und sicheren Platz zu haben. In dem Sinne sind wir absolut dankbar dafür. Freuen uns für Euch über den jamaikanischen Glückstreffer. Wir lösen uns jetzt dann wieder von der Boje hier in der Bucht und machen uns auf, noch etwas von den übrigen Ankerplätzen zu sehen. Auch eine Beschäftigungstherapie. Umso schöner sich danach wieder dem Nichtstun widmen zu können :-))
      Seid herzlich gegrüsst aus St. John, Martina und Daniel

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